Es ist ein bedrückendes Gefühl wenn man sich durch Pier bewegt. Ein lauer Sommerwind zieht um die Häuser, in der Ferne hört man Verkehr. Es ist, als ob ein Schleier über den Straßen und Häusern liegt. Die Menschen haben ihr Hab und Gut zurückgelassen, ihre erhoffte Zukunft oder ihre gelebte Vergangenheit. Das was sie sich aufgebaut haben hat keinen Wert mehr und es wird in der Erinnerung verblassen.
Ich wuchs in einem Dorf auf, aber selbst dort war es nie so still, echt gruselig.
Eine Mitreisende
Ich gehe durch Hinterhöfe, gucke in Garagen und schaue durch die Fenster, die nicht mit Spanplatten abgedeckt sind. Ich bin ein Besucher, der zu spät kommt aber zur rechten Zeit da ist. Oft hört man, dass ein Ort dem Tagebau oder einer Talsperre weichen muss. In meiner Heimat ist es z.B. die Talsperre Pöhl, bei der immer zum Niedrigwasser die Kirchturmspitze zu sehen ist oder das Dorf Culmiztsch, das durch den Uranabbau der Wismut verschwand.
Damals wurden die Menschen umgesiedelt bekamen neue Wohnungen mit dem Komfort, den die Bauernhöfe nicht bieten konnten. Aber heute? Gucke ich in einige der leerstehenden Häuser erhalte ich ein Gefühl von: jederzeit könnte eine junge Familie einziehen und sich das Häuschen mit wenigen Handgriffen wieder schick machen.
Aber das Haus wird gehen, vergehen, vergangen sein.
Ich bin im Zwiespalt gefangen. Auf der einen Seite Verlust auf der anderen Erhalt. Der Verlust des Gewohnten, der Verlust der Hoffnungen und des Glauben an die Zukunft, die man sich aufbauen wollte.
Auf der anderen Seite der Erhalt des Gewohnten und der Hoffnung auf eine Zukunft, die man sich aufbaut. Zu welchem Preis? Ich versuche mich in die Menschen hineinzuversetzen, die ihren Wohlstand erhalten können, aber auch sehen, wie Freunde oder Bekannte ihre Häuser verlieren. Wie ihr Kindergarten oder Feuerwehrhaus verschwindet.
Die Region lebt vom Tagebau. Es ist eine Zweckgemeinschaft. Würden die anderen Orte in der Umgebung auch wie Pier aussehen, gäbe es den Tagebau nicht mehr?
Der Wohlstand bleibt erhalten, die Nachbarn gehen.
Oli, lebt von der Arbeit im Tagebau
2005 begann die Umsiedelung aus Pier. Von ursprünglich rund 1300 Einwohnern (2005) sank die Zahl bis 2009 auf ca. 500. Zwei Jahre später lebten nur noch 50 Einwohner hier. Schätzungsweise werden 2014 die Bagger den Ort erreichen.
Stefan Schmidt – August 2011