Für die Erzählung muss ich etwas zurück gehen. Es ist Anfang November und ich merke, dass
mein Fußboden doch kälter ist, als ich in Erinnerung habe. So kann das nicht weiter gehen. Ich
beschließe bei nächster Gelegenheit mich auf den Weg zu machen und meinen Füßen was
flauschiges zu gönnen. Mein Weg führt mich in das Möbelhaus, für das es wohl die meisten
Umschreibungen gibt. Von nun an zieren zwei schöne, graue, 1,60m x 2,30m große Teppiche meine
sonst so schönen Holzdielen.
Ich übersah allerdings, dass der Wunsch nach Flauschigkeit an den Füßen, weiteren Konsum nach
sich ziehen würde.
Allmählich wird es mir zu beschwerlich die Teppiche am offenen Fenster auszuschütteln.
Anzumerken ist allerdings auch, dass ich direkt gegenüber des Landratsamtes wohne und eine
weitere Anzeige bezüglich illegaler Müllentsorgung befürchte. Für mich steht fest ich brauche einen
Staubsauger.
Ärgerlicher weise sucht mich eine fiese Krankheit heim. Erschöpft verbringe ich mein Dasein auf
der Couch mit Blick zum TV. Die Kräfte schwinden und mein Blick senkt sich auf den Teppich. Ich
sehe, wie kleine Krümel Beine bekommen. Mit leisem aber eindringlichen Fiepen und Tuscheln
beschließen sie einen Ausflug. Sie fangen an sich Namen zu geben. Eberhardt nimmt sich heraus
der Anführer zu sein. Heinz will das nicht auf sich sitzen lassen. Er will nicht aufgrund seines
Namens als unterlegene Witzfigur in der Hirarchie gelten. Das will er auch beweisen und führt an,
dass es auch ernst zu nehmende Heinze gibt. Ihm fällt auf die Schnelle aber nur Heinz Erhardt ein.
Kevin ist eine Pistazie. Eberhardt nimmt weder Heinz noch die Pistazie ernst. Feindlich unterwürfig
ergibt sich Heinz seinem Schicksal und führt murmelnd weitere große Heinze an. Eberhardt mahnt
zur Ruhe, Konzentration und Zielorientierung.
Aus zwei Salzstangen bauen Heinz und die Pistazie eine Sänfte für ihren Anführer und machen sich
auf den Weg. Über Stock und Stein hätte ich beinahe geschrieben, aber dieser Teppichzustand war
wohl dem Fieberwahn geschuldet.
„Heinz Becker!“ schallt es unterm Tisch hervor. Eberhardt ruft, dass das ebenfalls eine Witzfigur
sei. Kichern von der Pistazie und Grummeln von Heinz.
Eberhart schlägt vor einen Regenunterstand aufzusuchen, da es auf Ausflügen immer zu spontanen
Regengüssen kommen kann. Regen? Ich überlege, wie es in meiner Stube regnen könnte?
Ich muss niesen. Heinz und die Pistazie erkennen Eberhart nun endgültig als Anführer an.
Ein mulmiges Gefühl lässt mich das treiben aus den Augen verlieren. Ich schleppe mich in den Flur
und decke mich mit Taschentüchern, einer Wasserflasche und einem Netz Mandarinen ein. Bis zum
Arzttermin lasse ich mich von der Müdigkeit überwältigen und höre nebenbei endlose
Verkehrsmeldungen von der A3 bei Oberhausen und A2 bei Bottrop.
Presseschau… Telefonbetrüger geben sich als falsche Polizisten aus… blöde Typen… wer gibt sich
als falscher Polizist aus und erwartet ernsthaft, dass… „Heinz Rennhack!“, welches unter dem
Couchtisch hervor gerufen wird, unterbricht meine Gedanken. Gefolgt von einem fröhlichen
„Witzfigur!“.
Schlaftrunken begebe ich mich zum Arzt und nutze schließlich die Zeit im Wartezimmer um einen
Heinz zu finden, der keine Witzfigur ist. Heinz Quermann, kommt mir in den Sinn. „Witzfigur!“
ruft es aus meiner Jackentasche am Kleiderhaken. Erstarrt und mit großen Augen blicke ich nach
links und rechts. Schließlich werde ich aufgerufen und ins Behandlungszimmer gebeten. Nach
aaaaahs und äääähs und einer Überweisung zum HNO begebe ich mich direkt zum örtlichen
Elektrofachhändler. Das Treiben mit Eberhardt, Heinz und Pistazie muss nun ein Ende nehmen.
Zielstrebig steuere ich die ausgestellten Staubsauger an. Rot, blau, silber, klassisch oder futuristisch.
Ehe ich mir in meinen Gedanken vorstellen kann, welcher Staubsauger wohl am Besten über
meinen Flauscheteppich gleitet, beginnt seitlich von mir auch schon das Beratungsgespräch mit den
Worten: „Hören Sie mir überhaupt zu?“ Links neben mir steht plötzlich der Geschäftsinhaber.
Es geht mehr als nur um die Farbe, sagt er. Es ist ein Farbcode, der das Leben erleichtert. Roter
Nibbus, Roter Beutel; Gelber Nibbus, gelber Beutel. Baluer Nibbus – lassen sie mich raten,
unterbreche ich. Genau! meint er, blauer Beutel. Aber wenn ich einen beutellosen Staubsauger
haben möchte? frage ich. Dann, sagt er, ja dann gibt es nicht besseres als unser Topmodell. Der
Hersteller gibt eine fünfjährige Saugkraftgarantie. Auch die Stabilität ist das beste, was auf dem
Markt erhältlich ist. Dieses Highend-Gerät der Sonderklasse verfügt über eines der stabilsten
Kunststoffteleskopsaugrohre der Welt, lerne ich. Er demonstriert es auch gleich, indem er es auf den
Fußboden legt und drauf rumhopst. Ich überlege, wie ich diese grandiose Produkteigenschaft in
meinen Alltag integrieren könnte. In meine Gedankenwelt wandert das Wort „Saugkraft“. Der
Hersteller hat niemals mehr als 900 Watt gebraucht, um über digitale Turbomotordüsen einen
Orkan epischen Ausmaßes zu erzeugen. Das garantiert auch, dass eventuelle Kleinstlebewesen den
Saugvorgang nicht überleben können. Ich werde hellhörig.
„Heinz Kahlau!“ ertönt es bestimmt und stolz aus meiner Jackentasche. Gefolgt von nachdenklicher
Stille. Ulkiges Wortspiel denke ich und lache grunzend durch die Nase. Der Verkäufer und
Ladenbesitzer guckt mich an. Äh ja, Kleinstlebewesen, das klingt gut, sage ich. Ich bin interessiert.
Er demonstriert, wie leicht man den Behälter ausleeren kann und erklärt, dass man da auch nicht
mehr mit einer Gabel den festgesetzten Schmutz herausstochern muss. Auf dem Karton sehe ich das
Preisschild und erinnere mich an meinen gebrauchten Peugeot 106, der mir stets treue und sparsame
Dienste leistete. Preislich liegen sie zumindest auf gleichem Niveau. Ich erkundige mich noch
einmal nach dem roten Nibbus und stelle mich auf eine WG mit Eberhardt, Heinz und Pistazie ein.
Nachdem ich diese Geschichte meiner Mutter vorlas, fragte sie mich: „Hattest du wirklich so hohes Fieber?“
Der Stefan Schmidt | 2019